Während der weltweiten Pandemie ist ein spürbares Gefühl der kollektiven Trauer entstanden. Der Trauerexperte David Kessler sagt, dass Trauer eigentlich aus mehreren Gefühlen besteht, die wir bewältigen müssen. In einem Interview erklärt er, wie die klassischen fünf Phasen der Trauer (Verleugnung, Wut, Verhandeln, Traurigkeit, Akzeptanz) auch heute noch gelten und welche praktischen Schritte wir unternehmen können, um die Angst zu bewältigen.
Dr. Kessler betonte ganz zu Beginn des Interviews, dass es wichtig ist, die Sorgen, die man fühlt, anzunehmen und sich damit auseinander zu setzen. Nur so gelingt es, damit umzugehen und sogar einen Sinngehalt in diesem Gefühl zu finden.
Er geht davon aus, dass es verschiedene Formen von Sorgen und Leid gibt. Dazu zählt die Sorge um den Verlust von Normalität, die Angst vor ökonomischen Folgen, der Verlust von Beziehungen und anderes mehr.
Eine besondere Form ist nach seiner Ansicht die Sorge, die antizipiert. Damit bezeichnet er das Gefühl, das uns erfüllt, wenn wir mit einer unsicheren Zukunft konfrontiert sind. Darin spielt der Gedanke an den Tod von geliebten Angehörigen eine zentrale Rolle.
Antizipierendes Sorgen bezieht sich aber auch auf eine weiter gefasste Zukunft. Da kündigt sich etwas schwer Fassbares und Böses an. Gerade das Corona-Virus verunsichert die Menschen. Es passiert etwas, das man nicht sehen kann. Die Menschen fühlen einen Verlust von Sicherheit.
Es stellt sich nun die Frage, was Individuen tun können, um diesen Sorgen und das Leid in den Griff zu bekommen. Dr. Kessler stellt an den Anfang seiner Betrachtung, dass es verschiedene Stufen des Sorgens, die nicht immer in einer bestimmten Reihenfolge auftreten müssen, gibt.
Eine erste Stufe ist die Verweigerung. Uns kann das Virus nichts anhaben. In einer weiteren Stufe folgt der Ärger. Jetzt muss ich auch noch zu Hause bleiben und kann nichts unternehmen. Daran schließt sich die Stufe des Verhandelns an. Mit zwei Wochen Abstand halten kann man ja leben. Dann kommt Traurigkeit. Keiner weiß, wann das endet. Am Ende dieser Kette steht dann die Akzeptanz.
In der Akzeptanz liegt nach Dr. Kessler die Kraftquelle. Man weiß, was man zu tun hat, hält Abstand und arbeitet nach Möglichkeit virtuell.
Dabei ist zu beachten, dass das ungesunde antizipierende Sorgen Angst erzeugt und uns schreckliche Bilder in unser Vorstellungsvermögen spiegeln kann. Diese Bilder lassen sich nicht einfach verdrängen. Hier kommt es darauf an, eine Balance zwischen den Dingen zu finden, über die man nachdenkt. Nicht jeder wird krank. Viele erfreuen sich im engen Freundeskreis in bester Gesundheit. Jeder wird einmal krank, aber deshalb geht die Welt nicht unter. Dabei braucht man kein Szenario auszulassen, aber keines sollte ein anderes dominieren.
Gegen einen in die Zukunft weisendes antizipiertes Sorgen hilft es auch, den Blick in die Gegenwart zu richten und sich bewusst zu machen, dass man nicht krank ist sowie genug zu essen und zu trinken hat. Dazu gehört auch, Dinge die man nicht kontrollieren kann, geschehen zu lassen, ohne sich darüber zu ärgern.
Darüber hinaus ist es aktuell eine gute Gelegenheit, dass eigene Mitgefühl zu stärken. Vielen Menschen ist es eine große Hilfe, wenn sie auf Verständnis für ihre aktuelle Gefühlslage bei anderen stoßen.
Dr. Kessler weist im Interview darauf hin, dass ein unangenehmes Gefühl im Zusammenhang mit der aktuellen Pandemie darin besteht, dass ihr Ende nicht abzusehen ist. Er erinnert daran, dass die Menschheit auch in der jüngeren Vergangenheit mit solchen Ereignissen konfrontiert war und die Welt daran nicht zugrunde gegangen ist.
Er ist sogar der Meinung, dass mit der Bewältigung dieser Krise ein zusätzlicher Sinngehalt geschaffen werden kann. Im Prozess der Überwindung der Krise gewinnen wir neue Einsichten und machen neue Erfahrungen, die letztlich unser Leben reicher machen.
Quelle:
https://hbr.org/2020/03/that-discomfort-youre-feeling-is-grief?utm_source=facebook&utm_campaign=
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