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Alter, Kreativität und Weisheit

Aktualisiert: 28. März 2023


wie hängen Alter, Kreativität und Weisheit zusammen

Kreativität scheint im Alter abzunehmen. Viele Forschungsergebnisse legen nach Ansicht von Prof. Seligman nahe, dass die neurale Verarbeitungsgeschwindigkeit von Informationen, das Gedächtnis und die Ausdauer abnehmen, wenn man älter wird. Dazu kommt, dass Untersuchungen gezeigt haben, dass die kreative Produktivität in der Wissenschaft und der Kunst am Beginn einer Karriere einige Jahrzehnte zu einem Höhepunkt strebt und danach langsam abfällt. Von den gegenwärtigen Veröffentlichungen ausgehend, zieht Martin Seligman den Schluss, dass Kreativität im Alter dahin tendiert abzunehmen. Nun gibt es aber eine Reihe von Beispielen, die zeigen, dass es Persönlichkeiten gibt, die auch im hohen Alter noch sehr kreativ sind (Professor Seligman zählt sich persönlich auch zu diesem Personenkreis).

 

Elemente der Kreativität und Alter Um diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen, empfielt er, sich einige Elemente der Kreativität herauszugreifen und sich die Frage zu stellen, welche von diesen tatsächlich im Alter durch einen Abbau gekennzeichnet sind, bei welchen das nicht so ist und welche Faktoren für die eine oder andere Entwicklung verantwortlich sind. Die Hypothese des Professors aus Pennsylvania besteht darin, dass Kreativität nicht allein durch Originalität bestimmt wird. Sie erfordert nach seiner Ansicht darüber hinaus auch einen Sinn für den Nutzen einer Idee und ein Gespür für das Publikum, an das sich der Wissenschaftler oder Künstler mit seinen Werken wendet. Daraus ergibt sich, dass eine Untersuchung der Faktoren, die Kreativität beeinflussen, es notwendig macht, den Beitrag jedes kognitiven Prozesses sowohl für die Schaffensphase als auch für den Bewertungsablauf zu betrachten. Dazu sollen nach Ansicht von Martin Seligman drei Gruppen von Faktoren näher untersucht werden. Die erste Gruppe beschäftigt sich mit Kognition und Erfahrung. Dazu zählen kognitive Fähigkeiten, Originalität, Umherschweifen der Gedanken/Mind-Wandering, Wissen und Erfahrung, Intuition, Mustererkennung und Heuristiken. Eine zweite Gruppe befasst sich mit der Persönlichkeit und Fragen der Motivation. Hier wären Flexibilität, Offenheit für Erfahrungen, integrierende Vielschichtigkeit, Stärke des Interesses, innere Motivation, Ambition, Grit/Stehvermögen, Optimismus, Vertrauen, Selbstwirksamkeit und Energie zu nennen. Eine dritte Gruppe nimmt sich interpersonelle Prozesse vor. Dazu zählen die Qualität des Sinnes für das Publikum und die Intensität der Zusammenarbeit mit anderen. Was haben diese kognitiven Fähigkeiten nun mit Kreativität zu tun? Die vorhandenen Erkenntnisse zusammen genommen führen Professor Seligman zu dem Schluss, dass die kognitiven Fähigkeiten kreative Wahrnehmung bis zu einem bestimmten Punkt erleichtern. Wo dieser Punkt anzusiedeln ist, hängt nach seiner Ansicht von dem konkreten Gebiet ab und erfordert weitere Untersuchungen. Kognitive Fähigkeiten, die mit dem Alter abnehmen Wie hängen nun aber kognitive Fähigkeiten und Altwerden nach Ansicht von Professor Seligman zusammen? Langjährige Forschungen haben gezeigt, dass das flexible Urteilsvermögen/fluid reasoning und die Verarbeitungsgeschwindigkeit von Informationen sehr stark vom Alter ab-hängen, wobei erlerntes Wissen über die gesamte Lebensspanne relativ stabil ist. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen, dass flexibles Urteilsvermögen, Kurzzeitgedächtnis, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Leseverständnis, Rechen- und Schreibfähigkeit mit dem Altwerden abnehmen. Es kann daraus geschlossen werden, dass diese Abnahme zu einer möglichen Reduzierung des kreativen Denkens und kreativer Leistungen führt. Eine andere kognitive Fähigkeit, die für Kreativität relevant ist, ist das Vermögen, sich etwas vorzustellen und verschiedene Möglichkeiten, Ideen und Lösungen für ein Problem zu finden. Diese Fähigkeit, als Originalität bezeichnet, nimmt ab dem 40. Lebensjahr ab. Es liegt die Annahme nahe, dass diese Reduzierung der Originalität im Alter auch zu einer Abnahme der Kreativität mit den Jahren führt. Kognitive Fähigkeiten, die sich im Alter erhalten Nichtsdestotrotz werden einige kognitive Faktoren auch im Alter aufrechterhalten. Dazu zählen das Langzeitgedächtnis, das mündliche und akademische Wissen, Lesefähigkeiten, sprachlicher Ausdruck und das Hörverständnis. Da diese Fähigkeiten sich mehr auf Wissen und Erfahrung beziehen, lohnt es sich nach zusätzlichen auf Wissen beruhenden Faktoren zu suchen, die sich wahrscheinlich mit dem Alter verbessern und deshalb eine Zunahme von Kreativität bewirken, die die vorn genannten Ausfälle ausgleicht. An vorderer Stelle gehört dazu das Grundlagenwissen. In manchen Fachbereichen sind tausende Stunden Training und Übung erforderlich, um eine Stufe zu erklimmen, die Kreativität erst möglich macht. Auch originelle Leistungen basieren auf Traditionen, die man kennen und sich über Jahre wenn nicht Jahrzehnte angeeignet haben muss. Kreativität beruht nicht zuletzt darauf, dass der Wissenschaftler oder Künstler die richtige Balance zwischen Tradition und Originalität findet. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass Kreativität nicht nur auf Fachgebietserfahrung fußt. Kreative Menschen verfügen oft über eine breite Allgemeinbildung, die ihnen hilft, neue Wege zu finden und zu gehen. Es liegt auf der Hand, dass sich ältere Menschen in ihrem Leben mehr Wissen und Erfahrung aneignen konnten als jüngere Personen. Dieses angeeignete Wissen und die große Erfahrung helfen dabei, den Verlust kognitiver Fähigkeiten auf vielen Gebieten auszugleichen. Kognitive Fähigkeiten, die mit dem Alter wachsen Mit wachsendem Wissen und zunehmender Erfahrungen steigen darüber hinaus die Fähigkeiten, Muster zu erkennen, Heuristiken effektiv einzusetzen und intuitiv zu handeln. Entsprechendes Alter bringt es für den Künstler wie dem Wissenschaftler immer wieder mit sich, mit neuen Fragestellungen auf ihrem Gebiet konfrontiert zu werden, die Jahrzehnte vorher noch nicht herangereift waren. Wenn die schöpferische Persönlichkeit dann offen für neue Erfahrungen ist, erschließen sich ihr neue kreative Potentiale. Diese Offenheit für neue Erfahrungen gehört zu den wesentlichen Charaktereigenschaften, die Kreativität ermöglichen. Wer sich dieses Offenheit auch im Alter bewahrt hat, kann sein kreatives Potential nachhaltig steigern. Professor Seligman kommt zu dem Schluss, dass es nachweisbar ist, dass Kreativität auch im Alter zunehmen kann. Dafür spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass es in allen Kulturen weise Menschen gab und gibt. Ihre Weisheit beruhte und beruht gerade nicht nur darauf, dass sie in ihrem Leben viel Wissen und Erfahrung angesammelt hatten und haben, sondern dass sie dieses Wissen kreativ einsetzen konnten und können, um anderen Menschen zu raten und Vorbild zu sein.

Positive Psychologie und Weisheit

In ihrem Buch "Charakter Stärken und Tugenden" aus dem Jahre 2004 haben sich Prof. Martin Seligman und Prof. Christopher Peterson bereits einmal ausführlich mit dem Problem der Weisheit auseinandergesetzt. Sie haben sie darin als eine zentrale menschliche Tugend betrachtet und untersucht. Sie fassten Weisheit als eine außerordentliche Breite und Tiefe von Wissen über die Bedingungen des Lebens und über menschliche Angelegenheiten, die die reflektierende Beurteilung über die Anwendung dieses Wissens einschließt. Die Autoren untersuchten die Auffassungen über Weisheit in den verschiedenen Kulturkreisen und Religionen unserer Erde. Darauf aufbauend entwickelten sie die Kriterien der Stärken von Weisheit. Dazu zählten sie Kreativität, Neugier, geistige Offenheit, Liebe am Lernen und die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln. Die Weisheitsforschung wurde aber auch in Deutschland schon seit Jahrzehnten am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin betrieben. Besondere Verdienste erwarb sich Professor Paul. B. Baltes. Eine seiner Mitarbeiterin war Frau Dr. Judith Glück. Sie forscht heute als Professorin an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt u.a. zu diesem Thema. (Weitere Informationen zur Weisheitsforschung in der Vergangenheit finden Sie hier)

Die Ressourcen der Weisheit

Frau Prof. Dr. Judith Glück erforscht aktuell an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt die Entwicklung kognitiver, selbstbezogener und emotionaler Funktionen im Erwachsenenalter. Insbesondere befassen sich ihre Kollegen und sie mit der Psychologie der Weisheit, dem autobiographischem Erinnern und dem räumlichen Denken. In der Vergangenheit hat sie sich dabei mit der Erforschung der Ressourcen der Weisheit befasst. Eine erste wichtige Ressource ist für sie die Offenheit. Darunter versteht Frau Prof. Glück die Bereitschaft, sich immer wieder auf neue Erfahrungen, andere Denkweisen und Veränderungen einzulassen. Als eine weitere wichtige Ressource betrachtet sie den guten Umgang mit den eigenen Gefühlen. Wie sensibel ist man mit den eigenen Gefühlen? Wie gut kann man in den unterschiedlichsten Situationen mit ihnen umgehen? Eine weitere Ressource ist das Einfühlungsvermögen in die Situation anderer Menschen. Für eine zentrale Ressource hält die österreichische Wissenschaftlerin die Bereitschaft, vielschichtige Dinge und Ereignisse in ihrer Komplexität zu verstehen. Zu dieser Reflektionsfähigkeit gehört die Einstellung, auch sich selbst immer wieder kritisch zu hinterfragen. Damit ist untrennbar als weitere Ressource die realistische Bewertung der eigenen Möglichkeiten verbunden. Zusammen mit ihrer ehemaligen Kollegin Susan Bluck hat Frau Professor Glück eine Theorie der Entwicklung von Weisheit entwickelt, die beide als "MORE Life Experience Model" bezeichnet haben. MORE steht für die oben genannten Ressourcen. Die Grundannahme der beiden Wissenschaftlerinnen ist dabei, dass die eigentlichen Katalysatoren der Weisheitsentwicklung sogenannte kritische Lebensereignisse sind. Gemeint sind jene Erfahrungen, die das Leben eines Menschen in fundamentaler Weise verändern. Nach Ansicht der beiden Forscherinnen haben alle Lebensereignisse, auch die schwierigsten und unangenehmsten, das Potenzial uns etwas über das Leben zu lehren, über uns selbst und darüber, wie differenziert menschliche Erfahrungen sein können. Das MORE Life Experience Model geht davon aus, dass Menschen, die sich bestimmte Ressourcen erschließen können, es leichter haben, an solchen Erfahrungen auch wirklich zu wachsen und aus der Auseinandersetzung mit ihnen heraus das tiefe Wissen über die menschliche Existenz zu entwickeln, das man als Weisheit bezeichnet.

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