Die internationale Ordnung ist am Ende des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrtausends im Umbruch. Die großen Themen Globalisierung, Digitalisierung und Migration bestimmen die täglichen Nachrichten und berühren jeden von uns in der einen oder anderen Form ganz direkt.
Europa, wie wir es seit Jahrzehnten kennen, wird sich mit dem Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union verändern. Nachbarn werden vor die Frage gestellt, ihren Lebensmittelpunkt neu zu justieren. Manches spricht dafür, dass sich das wirtschaftliche Wachstum weltweit verlangsamen wird.
Eine noch größere Herausforderung stellt die Tatsache dar, dass sich in diesem und den kommenden Jahren das Klima weiter wandelt, die Biodiversität auf unserer Erde extrem zurückgeht und die Böden drastisch übernutzt werden. In einem Interview im vergangen Jahr machte Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ko-Vorsitzender des Club of Rome, erneut darauf aufmerksam, dass „wir fünf Erdbälle bräuchten, wenn alle Menschen auf der Erde auf dem Konsumniveau der USA leben würden. Die gute Nachricht ist: Die Industrieländer können die Wende schaffen, durch bessere Technik und weniger Prasserei. Brutaler Verzicht ist nicht nötig.“ (www.klimaretter.info, 7.4.2018)
Mit Bezug auf die Aufklärung verweist Ernst Ulrich von Weizsäcker darauf, dass weiterhin Vernunft und wissenschaftliche Wahrheitssuche gefragt ist, „aber zugleich müssen Expansionismus, Schnelligkeitsrausch und Sozialdarwinismus gebremst werden. Und wir müssen an tausend Stellen nach Balance trachten. Zum Beispiel Balance zwischen Markt und Staat, zwischen Innovation und Stabilität, zwischen Kurzfrist und Langfrist, und vor allem zwischen Mensch und Natur.“ (Hier geht es zum Interview)
Dazu kann und muss auch die Psychologie einen Beitrag leisten. So hat die Amerikanische Psychologische Gesellschaft (APA) eine sogenannte Task Force zum Klimawandel ins Leben gerufen, die sich zum Ziel setzte, die Öffentlichkeit über diesen vom Menschen in Gang gesetzten Prozess und über seine Auswirkungen zu informieren. Speziell ging es der APA darum, die Angehörigen der psychologischen Gemeinde über einzelne Fachgebiete hinaus anzuregen, sich intensiv mit dem Thema Klimawandel zu befassen und einen aktiven Beitrag zu leisten, um ihn zu verlangsamen und Anpassungsprozesse zu unterstützen.
Im Bericht der Task Force zum Thema „Psychologie und Klimawandel“, der 2018 als Buch erschien und der diesem Beitrag zugrunde liegt, wird herausgearbeitet, dass die Auswirkungen des Wandels des Klimas eine große Bedrohung und Herausforderung für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen darstellen. Es sei erforderlich, dass das Problem des Klimawandels nicht auf die Bereiche der Psychologie begrenzt werden darf, die sich im engeren Sinne mit Klimaauswirkungen, Katastrophenschutz oder Unwettergefahren beschäftigen. Nach Ansicht der Autoren des Berichts braucht es die Anstrengungen aller Wissenschaftszweige nicht zuletzt der Psychologie, um die Menschen für die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt zu gewinnen und zu ertüchtigen.
Da es bei diesem wirklichen Kraftakt um solche Fragen wie menschliches Wohlbefinden, Glück, Hoffnung, Sinnhaftigkeit, Werte, Stärken, Resilienz und andere psychologische Fragestellungen geht, müssen sich gerade Positive Psychologen von diesem Thema angesprochen fühlen, ohne dass sie in der Kurzfassung des Dokuments gesondert genannt werden.
Der Bericht thematisiert an mehreren Stellen das Problem des Konsumismus. Konsum sei in den westlichen Gesellschaften schon lange keine Frage der Befriedigung von Grundbedürfnissen mehr. Mit jeder Form von Waren bringen große Menschengruppen zum Ausdruck, wie sie gesehen werden möchten und dass sie Erfolg im Leben hatten. Dazu kommt, dass in der westlichen Kultur Zeit als eine kostbare Ressource angesehen wird, die auf Kosten des Verbrauchs von natürlichen Quellen erweitert wird. Das wiederum treibt den Klimawandel zusätzlich an.
Die Positive Psychologie verfügt hier über ein fundiertes umfangreiches Wissen, das zeigt, dass das Gefühl von Glück und Wohlbefinden sehr wohl erlangt werden können, ohne ständig neue Waren zu konsumieren, durch die die Lebensgrundlagen schon der übernächsten oder ihr folgenden Generationen in Frage gestellt sein können. Nicht zuletzt das direkte aktive Engagement in den verschiedensten Umweltinitiativen kann sich als ein wirksamer Weg erweisen, ein hohes subjektives Wohlbefinden zu erlangen, da mehr intrinsische als extrinsische Werte angesprochen werden.
Es sind nicht wenige Menschen, die auf die Bedrohung durch den Klimawandel mit einem größeren kollektiven Engagement reagieren und dabei positive Emotionen empfinden.
Es ist schon jetzt eine Tatsache, dass der Klimawandel, der in entscheidenden Maße durch den hohen Ressourcenverbrauch der Menschen in den führenden Industrieländern verursacht wird, in den ärmeren Ländern zuerst und mit größeren Schäden negativ zu Buche schlägt. Sichtbar wird das beispielsweise am Anstieg des Meeresspiegels, der durch die Erderwärmung spürbar angetrieben wird. Viele Inseln im Pazifik werden dort in den kommenden Jahrzehnten überflutet und die Häuser der dort wohnenden Menschen im Meer versinken. Es liegt daher nahe, noch intensiver als bisher darüber nachzudenken, wie wir einerseits hier in Europa unser Wohlbefinden steigern und andererseits auch die Chancen von Menschen in anderen Teilen der Welt, nach Glück zu streben und zu überleben, erhalten. Mehr dazu lesen Sie hier.
Quelle:
Psychology and Climate Change, Herausgeber Susan Clayton, Christie Manning, Academic Press, Cambridge, Massachusetts, USA, 2018
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