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10. Europäischer Kongress für Positive Psychologie in Island


Optimismus und Hoffnung wenn man negative Gefühle hat

Wie können wir die Welt erschaffen, in der wir leben wollen und was kann die Positive Psychologie dazu beitragen? Etwa 800 Fachleute aus aller Welt trafen sich im Juni in der „Harpa“, Reykjaviks beeindruckendem Konferenzzentrum, um sich über neue Entwicklungen und Forschungstrends zu informieren und inspirieren zu lassen. Ein Leichtes, denn es wurde gesungen, getanzt, meditiert und sich ausgetauscht, in Workshops und Keynotes, Poster Sessions und nicht zuletzt im internationalen Gespräch bei fabelhafter Verpflegung in den Pausen.

Mittendrin neben Judith und Christin auch Nicole, Katharina und Michaela aus dem TrainerInnenteam der DGPP.

 

Wie können wir unsere Perspektive kurz- und langfristig vom „ME“ zu einem „WE“ verlagern, wenn wir den Bogen spannen von der Vergangenheit bis in die Zukunft? Diese Frage stand über dem Programm und zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Konferenz. Für die Würdigung der Vergangenheit stand zu Beginn der Tagung das Gedenken an die jüngst verstorbenen Leuchttürme der PP, so etwa Ed Diener, einer der produktivsten PP-Forscher, und Flow-Ikone Mihaly Csikzentmihalyi, der noch bei der letzten Europäischen Konferenz vor vier Jahren in Budapest die Eröffnungsrede gehalten hatte. Für die Zukunft betraten zwei jugendliche Mitglieder eines isländischen Youth Council die Bühne und machten deutlich, wie sie sich die Gestaltung zukunftsweisender Prozesse wünschen: „No discussion about us without us!“. Angelehnt an das Buch „Creating the World we want to live in“ lenkte Mitautorin und Veranstalterin Dóra Guđmundsdóttir in ihrer Eingangsrede den Fokus der Konferenz auf die Förderung von aufblühenden Gemeinschaften. Als Direktorin für Öffentliche Gesundheit am isländischen „Directorate of Health“ sorgt sie mit der Positiven Psychologie in nationalen und internationalen Gesundheits-Netzwerken für mehr Flourishing im Rahmen einer Wellbeing Economy, auch und gerade in herausfordernden Zeiten. Sie machte deutlich, dass die Gestaltung von Lebenswelten mit allen Akteuren eine wesentliche Rolle spielt für Gesundheit und Wohlbefinden: „Make the healty choice an easy choice“. Mit einem ganzheitlichen Ansatz ist es in Island z.B. gelungen, den Alkoholkonsum von Jugendlichen vom höchsten zum niedrigsten Niveau in Europa zu bewegen. Felicia Huppert, Mitautorin des benannten Buches und Mitgründerin des Wellbeing Institute an der Cambridge University, berät heute die Regierung Großbritanniens zum Thema Wellbeing. In ihrem Vortrag macht sie deutlich: Um klug zu handeln, also „wise action“ zu zeigen, brauchen Menschen die folgenden drei Kernkompetenzen:

  • „open mind“: Eine offene und neugierige Haltung und Aufmerksamkeit für das, was in ihnen und um sie herum vorgeht

  • „open heart“: die Fähigkeit, dem Schmerz anderer mit Mitgefühl zu begegnen und sich gleichzeitig davon nicht überfluten zu lassen

  • „clear thinking“: die Fähigkeit, Informationen kritisch aufnehmen, zu reflektieren und einzuordnen

Huppert tritt ein für einen „systems approach“ in der Anwendung der PP, um die Erkenntnisse viel weitreichender einzusetzen und spricht dabei von einem „turning point in our history“. Dabei bezieht sie sich u.a. auf die „Sustainable Development Goals“ der UN, deren Umsetzung viel zu langsam erfolgt und schlägt vor, die notwendigen Veränderungen durch das Konzept der „Inner Development Goals“ zu unterstützen. Hier kann die PP einen wesentlichen Beitrag leisten. Die Begegnung mit dem Dalai Lama hat sich prägend auf den Werdegang und die Forschung von Richard Davidson ausgewirkt. Davidson, Neurowissenschaftler und Gründer des Center for Healthy Minds in Wisconsin/USA bekräftigte: „Wellbeing is a skill that can be learned“. Er präsentierte zahlreiche Studien, die belegen, wie schon kleine Achtsamkeitsübungen Wohlbefinden und Stressempfinden positiv beeinflussen. Die von ihm und seinem Team kreierte kostenlose App „Healthy Minds Program“ soll Menschen weltweit dazu verhelfen, die vier Säulen eines gesunden Geistes (awareness, connection, insight, action) aufzubauen. „It doesn’t take much“, fasste er seine Botschaft zusammen, schon fünf Minuten Achtsamkeitspraxis am Tag brächten nachweislich positive Veränderungen mit sich. Dies sei so wichtig wie Zähneputzen, und schon Kinder sollten davon profitieren können. Auch Richard Ryan, Mitbegründer der Self Determination Theory (STD), legte in seiner Keynote einen Fokus auf Achtsamkeit, für ihn die Grundlage echter Autonomie: „Achtsamkeit ist eine offene Aufmerksamkeit für das, was in uns und um uns herum vorgeht. Sie hilft uns dabei, bessere Entscheidungen zu treffen“. Ryan macht anhand langjähriger Forschungsergebnisse aus seinem Bereich deutlich: "SDT is a Positive Psychology“- und äußert die Hoffnung, damit ein geeignetes Rahmenkonzept für positive individuelle und kollektive Entwicklung anbieten zu können. Um aufzublühen, sagt die SDT, brauchen Menschen Autonomie, Kompetenzerleben und Verbundenheit. Besonderen Wert legt Ryan auf ein richtiges Verständnis von Autonomie: Nicht Unabhängigkeit ist hier gemeint, sondern die Fähigkeit, sich freiwillig und auf der Grundlage der eigenen Werte für oder gegen etwas zu entscheiden, z.B. auch für und in Beziehungen. Sich bewusst auf eine (partnerschaftliche) Beziehung einzulassen, sei laut Ryan sogar die höchste Form von Autonomie. Denn nur, wenn Menschen echte Autonomie erleben, beginnen sie eigenverantwortlich zu denken und zu handeln. Und das fördert nicht nur Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden, sondern auch die intrinsische Motivation, Ziele zu erreichen, persönliches Engagement und Leistung. Deshalb sei es wichtig, die Autonomie anderer zu unterstützen, z.B. durch Perspektivwechsel, Agency und Ownership, bedeutungsvolle Wahlmöglichkeiten und Empathie bei Hindernissen, Widerständen und Fehlschlägen. Sue Roffey, Forscherin und Aktivistin und Begründerin des Wellbeing Australia Network entfaltete in ihrem ASPIRE-Modell die sechs Prinzipien einer positiven Organisationskultur am Beispiel Schule. Auch sie vertritt dabei einen systemischen Ansatz: Die 6 Prinzipien (Agency, Safety, Positivity, Inclusion, Respect, Equity) sorgen für eine tragfähige Basis für alle Stakeholder, sie sind auf alles anzuwenden, was innerhalb einer Schule geschieht. Dabei gilt: Nicht nur, was über sozial-emotionales Lernen vermittelt wird, ist entscheidend, sondern wie es vermittelt wird. Zahllose weitere inspirierende Beiträge befassten sich mit spannenden Themen rund um die PP und viel zu schnell waren die vier Tage vorbei. Die meisten Konferenzteilnehmer*innen nutzten die Chance, um auch einige der isländischen Naturschönheiten zu besuchen und sich bei sommerlichen 14 Grad Höchsttemperaturen von Geysiren und warmen Lagunen, Wasserfällen, Walen und unberührter Natur unter der Mitternachtssonne verzaubern und beeindrucken zu lassen - so auch wir. Falls das Lesen Lust gemacht hat, selbst einmaI dabei zu sein: Im Sommer 2024 steht die nächste ECPP-Konferenz an, diesmal in Innsbruck.


Michaela Wegener und Nicole Dargent






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