Philosophy & Human Flourishing
- Emma Natschke
- 25. Apr.
- 3 Min. Lesezeit

Kurz bevor er starb, erinnerte Sokrates seine Freunde daran, dass das Ziel des Lebens darin besteht, gut zu leben – gute Tage zu leben – anstatt bloß zu existieren – mehr Tage zu zählen. Verstanden als die Liebe zur Weisheit, ist Philosophie seit über zweitausend Jahren das Streben nach und die Praxis von menschlichem Wohlergehen. (S. 4-5)
Was macht ein bedeutungsvolles und gedeihendes Leben aus? Welche individuellen und gemeinschaftlichen Gewohnheiten, Richtlinien und Institutionen tragen dazu bei? Von welchem Wert sind diese Fragen in einer Welt voller systemischer Ungerechtigkeit und Leid? Diese und weitere Fragen werden in den Beiträgen des vorliegenden Buches gestellt und bearbeitet. Die Kapitel umfassen unsere evolutionär verankerten Antriebe, Biologie und Verkörperung, Moralität und Verantwortung, Individuen und Gesellschaft, Selbstnarrative und Selbstwirksamkeit, Glück, Pluralismus und weitere Konzepte im Zusammenhang mit menschlichem Wohlbefinden.
Philosophy & Human Flourishing ist eine wissenschaftliche Anthologie, die von John J. Stuhr herausgegeben und von der Oxford University Press im Jahr 2022 veröffentlicht wurde. Der Sammelband ist Teil der Humanities and Human Flourishing Buchreihe, die von James O. Pawelski herausgegeben wurde und Zusammenhänge zwischen insgesamt acht geisteswissenschaftlichen Disziplinen und dem menschlichen Wohlbefinden untersucht. In zwei Teilen des Buches beschäftigen sich insgesamt 13 Autor*innen mit den Bedeutungen und Umsetzungsmöglichkeiten menschlichen Wohlergehens.
Der erste Teil, „Meanings of Human Flourishing“, umfasst sechs Kapitel:
1. „The Conatus Project: Mattering and Morality“ von Rebecca Newberger Goldstein
2. „Flourishing in the Flesh“ von Mark Johnson
3. „Pragmatic Stories of Selves and Their Flourishing“ von Jessica Wahman
4. „Well-Being: Taking Our Selves Seriously“ von Daniel M. Haybron
5. „Well-Being, Value Fulfillment, and Valuing Capacities: Toward a More Subjective Hybrid“ von Valerie Tiberius
6. „The Allure of the ‘All’“ von John Lachs
Der zweite Teil, „Human Flourishing in Practice“, besteht aus 7 Kapiteln:
7. „Flourishing: Toward Clearer Ideas and Habits of Genius“ von John J. Stuhr
8. „Navigating Irreconcilable Conflicts: Philosophical Thinking for Better Lives“ von Lori Gallegos
9. „Relational Insensitivity and the Interdependence of Flourishing and Withering“ von José Medina
10. „Values Literacy and Citizenship“ von John Z. Sadler
11. „Teaching Philosophy: The Love of Wisdom and the Cultivation of Human Flourishing“ von James O. Pawelski
12. „A Reconsideration of the Role of Philosophy in the Reconstruction and Promotion of Leisure“ von Jennifer L. Hansen
13. „Philosophy and the Art of Human Flourishing“ von Michele Moody-Adams
In seinem Kapitel über die Lehre des Faches plädiert Pawelski zum Beispiel für eine Rückbesinnung auf die praktische Rolle der Philosophie bei der Förderung des menschlichen Wohlbefindens. Er beginnt damit, die zentrale Rolle individuellen und gesellschaftlichen Wohlergehens für Bildung im weiten Sinne und Philosophie im engen Sinne darzulegen.
Beschrieben wird auch eine Tradition von Bildungsidealen, die nicht bloß Wissenserwerb, sondern das individuelle Wohlergehen, die sittliche Reife und die Befähigung zum Mitwirken am öffentlichen Leben intendierten. Hierzu gehören die antike griechische Paideia, die sieben freien Künste (artes liberales) der alten Römer und die humanistische Bildung der Renaissance (nach Cicero’s studia humanitatis). Seit den Anfängen der Philosophie selbst, im Westen, z.B. bei Sokrates, Platon und Aristoteles, wie auch im Osten, z.B. im Buddhismus, Konfuzianismus und Daoismus waren Fragen nach dem guten Leben zentral. Die Exklusivität des Zugangs zu Bildung und Philosophie in der Geschichte muss jedoch, so Pawelski, kritisch eingeordnet werden. Philosophische Ansätze zum menschlichen Wohlergehen heutzutage müssen diversen kulturellen Realitäten und einem weitgehenden Pluralismus gerecht werden.
Im Angesicht zunehmender psychischer Beschwerden unter Studierenden wie auch der vorherrschenden Tendenz der universitären Philosophie, enge Spezialisierungen und die Entwicklung spezifischer Kompetenzen zu fördern, plädiert Pawelski für eine eudaimonische Wende. Die praktische Dimension der Philosophie soll im akademischen Umfeld mehr betont werden. Er erläutert seine eigenen Erfahrungen mit der Integration von „lab sections“ (S. 251), also Laborbereichen in seinen Seminaren. Diese bieten Studierenden die Möglichkeit, sich nicht bloß mit philosophischen Theorien über das gute Leben zu beschäftigen, sondern in einen aktiven Austausch und hauptsächlich ins Ausprobieren zu kommen. Solche Kurse führen bei Teilnehmenden zu Steigerungen in Hoffnung und Optimismus sowie zu erhöhtem physischen, psychologischen und sozialen Wohlbefinden.
Eine Neuausrichtung der universitären Philosophie auf Praktiken zusätzlich zu Theorien soll Studierende in ihrem Streben nach Weisheit und der Anwendung philosophischer Erkenntnisse auf das eigene Leben und die Gemeinschaft ermutigen. Pawelskis Kapitel wird somit zum Aufruf an Pädagog*innen, sich die transformative Kraft der Philosophie zunutze zu machen und die Förderung des Wohlbefindens ihrer Studierenden explizit anzustreben.
Der Sammelband zielt darauf ab, humanistische Wissenschaft und Forschung, die sich mit menschlichem Wohlbefinden beschäftigt, voranzutreiben. Durch die Treffen der Autor*innen im Rahmen des Projekt und deren gemeinsames Ziel, zum Diskurs über Wohlbefinden beizusteuern, wird das Buch mehr als bloß die „Summe seiner Teile“.
Titel: Philosophy & Human Flourishing
Herausgeber: John J. Stur
ISBN: 978-0197622162
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