Radical Listening – von der Reaktion zur Resonanz
- Mailin Modrack
- 28. Mai
- 2 Min. Lesezeit

„Das größte Kommunikationsproblem ist, dass wir nicht zuhören, um zu verstehen. Wir hören zu, um zu antworten.“
(Stephen R. Covey)
Stellen Sie sich vor, Sie betreten einen Raum voller Menschen. Alle reden. Stimmen überschneiden sich. Manche klingen laut, andere kaum hörbar. Plötzlich verstummt alles – und eine einzelne Stimme wird glasklar hörbar. Kein Megafon, kein erhobener Ton. Nur Ihre veränderte Aufmerksamkeit macht den Unterschied.
Wem hören wir zu – und wem nicht? Und vor allem: Wie hören wir überhaupt?
Zwischen aktivem Zuhören und Deep Listening
Im Alltag sprechen wir häufig von aktivem Zuhören: Blickkontakt halten, nicken, paraphrasieren. Doch oft bleibt es an der Oberfläche. Die Komponistin Pauline Oliveros, Begründerin des Deep Listening, sprach von einer „bewussten Verbindung mit der gesamten Umgebung durch Klang“. Übertragen auf Gespräche heißt das, ich nehme auch wahr, was unausgesprochen bleibt – Tonfall, Pausen, Körpersprache, Atmosphäre.
Das Konzept des Radical Listening greift diesen Gedanken auf und vertieft ihn durch Haltung. Es verbindet innere Präsenz mit äußerer Zuwendung und fordert uns auf, nicht nur zu reagieren, sondern Resonanzräume zu öffnen.
Exkurs: Die vier Ebenen des Zuhörens (nach Otto Scharmer)
In seinem Theorie U-Modell unterscheidet Otto Scharmer vier Ebenen des Zuhörens:
Downloading – Bestätigendes Hören: Wir hören nur das, was wir ohnehin schon denken. Filter, Vorurteile, Routinen bestimmen unsere Wahrnehmung.
Faktisches Zuhören: Wir nehmen bewusst Informationen auf, die neu oder anders sind. Wir öffnen den Verstand.
Empathisches Zuhören: Wir hören mit dem Herzen. Wir tauchen in die Erfahrungswelt des Gegenübers ein – mitfühlend und präsent.
Generatives Zuhören: Wir sind so offen, dass sich während des Zuhörens etwas Neues entwickeln kann – ein gemeinsames Verstehen, ein Zukunftsraum.
Radical Listening zielt auf die letzte Ebene: Generatives Zuhören, bei dem neue Erkenntnis entsteht – nicht nur beim Sprechenden, sondern auch beim Zuhörenden.
Zuhören wird zur Haltung – und damit zur sozialen Handlung. Dass das in ganz unterschiedlichen sozialen Situationen wirkt, zeigt auch die Forschung. Eine Metastudie von Kluger und Itzchakov (2021) belegt, dass qualitativ hochwertiges Zuhören am Arbeitsplatz tiefgreifende Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen und Arbeitszufriedenheit hat. Mitarbeitende, die sich gehört fühlen, entwickeln mehr Vertrauen, zeigen höhere Motivation und berichten von stärkerer emotionaler Bindung an ihr Team. Darüber hinaus wirkt aktives Zuhören stressreduzierend und kann Burnout sowie Fluktuation verringern. Die Studie unterstreicht damit: Zuhören ist nicht nur ein soziales, sondern auch ein strategisches Führungsinstrument der Zukunft.
Relevanz für unser Miteinander
In einer Welt, die lauter wird – politisch, digital, sozial – wird Zuhören zur widerständigen Praxis. Wer zuhört, anerkennt. Wer zuhört, lässt Raum. Und wer zuhört, entscheidet mit, welche Stimmen Gewicht bekommen.
Ob in Bildung, Führung, Familie oder Gesellschaft: Zuhören ist Teilhabe und oft der erste Schritt zu Veränderung.
Quellen
Kluger, A. N., & Itzchakov, G. (2021). The Power of Listening at Work. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 9.
Theorie U – Von der Zukunft her führen. (o. D.). https://www.carl-auer.de/theorie-u-von-der-zukunft-her-fuhren?gad_source=1&gad_campaignid=17335583949&gbraid=0AAAAAD9fZBV6slpKkkwekhxwiYnWZsw3F&gclid=Cj0KCQjwotDBBhCQARIsAG5pinPisNpNKdEtA_3okuiWg_UeKzZFLe5W-KzmnV9WfXww-uUT3NqtMDsaAsMOEALw_wcB
Van Nieuwerburgh, C. & Biswas-Diener, R. (2025). Radical listening: The Art of True Connection.
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